Meine erste Begleitung als Hospizhelferin. Seit vier Monaten gehe ich regelmäßig zu Frau M. Wir beide wissen, dass ihre Krebserkrankung bald zum Tod führen wird. Sie erzählt viel aus ihrem langen Leben; der Tod aber ist kein Thema.

Eines Tages, sie ist inzwischen so schwach, dass sie nicht mehr aufstehen kann, entwickelt sich folgendes Gespräch:
Frau M.: „Ich denke jetzt immer häufiger an meine Eltern. Die warten im Himmelszelt auf mich.“
U.J.: „Das ist aber ein schönes Bild. Dann wartet dort auch Ihr Bruder Horst?“
Frau M.: „Ja, und auch meinen Karl werde ich dort wiedersehen.“
U.J.: „Ob Ihre Schulfreundin Mulle auch da ist, die Sie in den Kriegsjahren aus dem Blick verloren haben?“
Frau M.: „O, die liebe Mulle! Dann kann sie mir endlich erzählen, was aus ihr geworden ist.“
Abwechselnd fallen uns die Menschen ein, die eine Zeitlang ihre Wegbegleiter waren.
Frau M.: „Ich freue mich, dass ich all die Lieben wiedersehen werde!“

Frau M. hat vier Kinder, Schwiegerkinder, Enkelkinder. Ob ich das Gespräch auf das Abschiednehmen lenken soll?
U.J.: „Und Ihre Kinder? Denken Sie auch an die?“
Frau M.: „Ja, sicher. Die müssen noch hierbleiben. Aber irgendwann kommen die auch. Und bis dahin passe ich auf sie auf.“
(Kleine Pause)
U.J.: „Frau M., passen Sie auch auf mich auf?“
Frau M.: „Na klar doch! Alle sind mit allen verbunden.“

Hätte sie es besser formulieren können? An diesen Satz muss ich oft denken – bei der Erinnerung an „meine“ Verstorbenen, aber auch, wenn ich über das Zusammenleben in Familien und Gruppen, in der Gesellschaft nachdenke.

Ulrike Jürgens