Meine erste Begleitung: ein älterer Herr in einem Seniorenheim. Wie wird es wohl werden?

Ich nehme Herrn M. ein selbstgenähtes Herzkissen mit. Ein Kissen ist immer praktisch für eine bessere Lagerung im Bett. Über diese Geste der Fürsorglichkeit kommen wir in Kontakt.

Regelmäßig, jeden Dienstag, besuche ich nun Herrn M. Mit der Zeit lernen wir uns etwas kennen. Er begrüßt mich immer freundlich und freut sich sichtlich über die Abwechslung. Anfangs ist noch eine kleine Kommunikation möglich. Häufig schauen wir uns Familien- und Urlaubsfotos an. Doch mit Fortschreiten der Erkrankung fällt ihm das Sprechen immer schwerer. Es kommt die Zeit des Schweigens. Herr M. sagt nur noch wenige Worte; seine Kraft reicht nur noch zum Flüstern.

Ich bringe Herrn M. ein kleines mit Lavendel gefülltes Herz mit: zum Riechen, Fühlen, Festhalten für die verkrampfte Hand. Im Laufe der Zeit werden die beiden Herzen seine festen Begleiter.

Irgendwann ist das kleine Herz verloren gegangen. Vielleicht ist es beim Wechseln der Bettwäsche abhanden gekommen. Die Ehefrau bittet mich um ein neues Herz. Gern erfülle ich ihren Wunsch.

Als Herr M. im Sterben liegt, gibt eine Pflegerin oder ein Pfleger ihm das Herz in die Hand. Ich bin gerührt. In seinen letzten Tagen sitze ich oft wachend an seinem Bett, beobachte sein ruhiges, gleichmäßiges Atmen – und bin einfach da. Einige Stunden, nachdem ich gegangen bin, stirbt Herr M. Friedlich, mit dem Herz in seiner Hand, tritt er seine letzte Reise an.

Als ich seine Frau einige Wochen später besuche, liegt auf dem Wohnzimmertisch das Herzkissen. Ein paar Nähte sind aufgegangen, ich nähe sie zu. Frau M. möchte das Kissen gerne behalten. Auch das Herz-Foto mit der Hand ihres Mannes schenke ich ihr – und dazu noch ein neues Lavendelherz.

Meine erste Begleitung, eine Begleitung mit Herz, ist zu Ende gegangen. Wenn ich daran zurückdenke, kommen mir meine Lieblingszitate in den Sinn:

„Es ist keine Kunst, die Welt zu erobern; wenn du kannst, erobere ein Herz!“ (Saadi, persischer Dichter aus dem 13. Jahrhundert)

„Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ (aus: Antoine de Saint-Exupéry, Der Kleine Prinz)

Eva-Christina Galanulis