Seit einigen Wochen gehe ich regelmäßig zu Frau L. Heute schimpft sie: „Warum fällt es bloß vielen Menschen so schwer, zu Hause zu bleiben? Was soll ich denn sagen! Ich war schon über ein Jahr nicht mehr vor der Tür.“ In diesem Jahr wird sie 70. Früher ist sie viel gereist, ist mehrmals in der Woche mit ihrem Auto nach Braunschweig gefahren, mit Freunden Essen gegangen. Jetzt beschränkt sich ihre Lebenswelt auf Schlafzimmer und Bad. Zur Haustür schafft sie es nicht mehr und nur manchmal bis ins Wohnzimmer.

Ich denke an Frau K. Sie lebt in einem Pflegeheim. An „guten“ Tagen wird sie in ihrem Rollstuhl in den Aufenthaltsraum und den Speiseraum geschoben. An den anderen Tagen sitzt oder liegt sie im Bett. Persönliche Gegenstände? Nur ein paar Fotos an der Wand und auf dem Nachttisch. Mehr ist in einem Zweibettzimmer nicht möglich. Sie hofft immer noch, dass sie irgendwann wieder gehen kann und sie zurück in ihr schönes Zuhause kommt…

Im selben Heim besuche ich Frau R. Sie lebt schon lange hier. In ihr Zimmer hat sie ihren Lieblingssessel mitgenommen. Viele Fotos zeugen von ihrer großen Familie. All das kann sie nicht mehr wahrnehmen. Seit über einem Jahr liegt sie zu Bett, schaut an die Decke, vor die Wand… Lebenswelt Bett.

Drei Beispiele von vielen. Frau L. hat Recht: Wir sollten uns nicht beklagen.

Ulrike Jürgens